Eine Welt – gerecht für alle

Politische Beiträge der Zivilgesellschaft müssen gemeinnützig bleiben: Jahressteuergesetz nachbessern!

Appell an Bundestagsabgeordnete zum Bundestagsbeschluss am 6. November

Am 6. November steht im Bundestag eine Entscheidung bevor, die – sollte er den Empfehlungen des Bundesrates ohne Änderungen folgen – die Zivilgesellschaft massiv schwächen würde. So fürchten derzeit viele zivilgesellschaftliche Verbände und Organisationen. Auch wir sind höchst besorgt, denn
viele Vereine und Organisationen der Eine Welt-Arbeit wären davon betroffen, deren Engagement für eine nachhaltige und gerechte Welt und die Erreichung der globalen Entwicklungsziele (SDG) unentbehrlich ist.

Wir appellieren daher an Bundestagsabgeordnete, der Vorlage in dieser Form NICHT zuzustimmen und sich für eine Nachbesserung in folgenden Punkten einzusetzen:

  • Die gesetzmäßige Sicherstellung, dass gemeinnützige Organisationen ihre gemeinnützigen Zwecke auch mit Einflussnahme auf die politische Willensbildung verfolgen dürfen, solange das Abstandsgebot zu Parteien und Wählergemeinschaften eingehalten wird (entsprechend BFH-Urteil zum BUND Hamburg). Auch sollten sich gemeinnützige Organisationen über ihre unmittelbaren Satzungszwecke hinaus politisch betätigen dürfen, ohne dadurch den Verlust ihrer Gemeinnützigkeit befürchten zu müssen – zumindest solange es nicht ihre Hauptbetätigung darstellt und es ausnahmsweise und punktuell erfolgt.
  • Die Aufnahme weiterer gemeinnütziger Zwecke um die veraltete Abgabenordnung zu erweitern, etwa Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, globale Solidarität, Inklusion, Antidiskriminierung. Dies ist wichtig, um derzeitige Einschränkungen oder Unsicherheiten der politischen Bildung (BFH-Urteil zu Attac und die Folgen) zu beheben: Engagement für diese Themen ist unzweifelhaft gemeinnützig. Dementsprechend sollten diese Zwecke auch als gemeinnützige Zwecke in die Abgabenordnung aufgenommen werden.

Zum Hintergrund

Der Bundesrat hat am 9. Oktober 2020 eine Stellungnahme zum Jahressteuergesetz und damit zu Regelungen der Gemeinnützigkeit abgegeben. Zwar wurde die Abgabenordnung um steuerbegünstigte Zwecke erweitert, was gut und notwendig ist, jedoch aus unserer Sicht unzureichend und zusammen mit der Frage der Rechtssicherheit für politische Tätigkeiten von Vereinen für die Zivilgesellschaft mit sehr negativen Konsequenzen behaftet wäre.


Denn der Bundesrat lehnte eine dafür zentrale Empfehlung der Ausschüsse, darunter der federführende Finanzausschuss, ab. Diese sah vor, die politische Tätigkeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen ausdrücklich zu erlauben. Konkret geht es im Wesentlichen um folgende Passage:


„Elementare Bestandteile einer lebendigen Demokratie sind eine kritische Zivilgesellschaft und starke Organisationen, die politische Entscheidungsprozesse aktiv begleiten, sich einmischen und Stellung beziehen. Die selbstlose Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung sowie der politischen Willensbildung sind Kennzeichen des zivilgesellschaftlichen Engagements und ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Gemeinwesens. Zivilgesellschaftliche Organisationen leisten aufgrund gewandelter gesellschaftlicher Strukturen einen immer größeren Beitrag zur gesellschaftlich-demokratischen Debatte. […]“
(Bundesrat Drucksache 503/1/20, S. 154)


Das Gemeinnützigkeitsrecht ist keine Fußnote im Jahressteuergesetz, sondern es ist damit zu einer Kern- und Grundsatzfrage geworden. Mit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit mehrerer politisch aktiver Organisationen in der Vergangenheit und dem momentanen Schwebezustand, bis das
Gemeinnützigkeitsrecht reformiert ist, beobachten wir schon jetzt faktische Einschränkungen und vielerorts große Verunsicherungen zivilgesellschaftlicher Handlungsräume.

Ein Beschluss des Gesetzes – im jetzigen Status – durch den Bundestag würde den schleichenden Verlust wichtiger demokratischer Debatten- und Wächterfunktionen bedeuten, für die Zivilgesellschaft zentral ist. Die jetzige Bundesratsvorlage würde die für Zivilgesellschaft strukturell einschränkende Entwicklung für die nächsten Jahrzehnte zementieren.


Auch für die gesellschaftliche Entwicklung hin zu einer nachhaltigen und gerechten Welt – wie sie mit den Globalen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals) angestrebt wird – kommt es auf eine Zivilgesellschaft an, die sich an der politischen Debatte beteiligt und Lösungen erarbeitet. Mit dem
Einsatz für eine gerechte und nachhaltige Welt leisten tausende zivilgesellschaftliche Eine Welt-Vereine mit Bildungsarbeit, globalen Solidaritätsprojekten oder Kampagnen wichtige Beiträge zu gesellschaftlichen Debatten und politischen Dialogen. Sie sind wichtig für die Übersetzung politischer
Diskurse (z.B. Agenda 2030-Themen) und nehmen damit eine wichtige Brückenfunktion in der politischen Willensbildung ein. Auch die Politik greift regelmäßig auf Expertise der Zivilgesellschaft zurück.


Zivilgesellschaft kann dabei nicht unpolitisch bleiben, bzw. ist die Vorstellung einer unpolitischen Zivilgesellschaft im Eine Welt-Bereich genauso wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen unrealistisch. Gemeinnützige Vereine dürfen nicht jährlich um ihre Existenz fürchten müssen, weil sie sich politisch geäußert haben.


Oktober 2020


Offener Brief von 40 Initiativen aus Mecklenburg-Vorpommern:

40 zivilgesellschaftliche Initiativen aus Mecklenburg-Vorpommern haben sich in einem offenen Brief insbesondere an Abgeordnete im Deutschen Bundestag, insbesondere der CDU/CSU-Fraktion, gewandt. Die Vereine, Stiftungen und Initiativen sehen dringenden Handlungsbedarf bei der Aktualisierung des Gemeinnützigkeitsrechts, über das am 20. November im Bundestag im Rahmen der Erneuerung des Jahressteuergesetzes abgestimmt werden soll.

„In der aktuell vorliegenden Entwurfsfassung sehen wir die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteure gefährdet, die sich in unserem Bundesland für Teilhabe und Menschenrechte, gegen Ausgrenzung und damit für eine lebendige Demokratie einsetzen. Die Entwurfsfassung gibt keine Rechtssicherheit für diese Vereine, ihre Gemeinnützigkeit nicht aufgrund ihres Engagements zu verlieren.“ sagt Anne Schwalme vom Bildungsprojekt verquer., welches den Brief mit initiiert hat. Die Möglichkeit Fördergelder und Spenden für die eigene Arbeit einzuwerben, hängt in Deutschland stark mit dem Status der Gemeinnützigkeit zusammen.