Eine Welt – gerecht für alle

Rassismus und Demokratiefeindlichkeit bedrohen entwicklungspolitische Akteure und Arbeit!

Gruppenfoto Eine Welt Promotor*innen, 2019

Beitrag von Andreas Rosen, Ko-Geschäftsführer der Stiftung Nord-Süd-Brücken

Die Stiftung Nord-Süd-Brücken in Berlin fördert jährlich rund 250 Projekte der entwicklungspolitischen Bildungs- und Projektarbeit ostdeutscher und Berliner Vereine. Seit längerem ist verstärkt zu beobachten, dass die Arbeit der örtlichen Akteure durch manifesten Rechtsextremismus und tief verankerte rassistische und autoritäre Einstellungen erheblich beeinträchtigt wird.

Wie die nachstehende kleine, nichtrepräsentative Auswahl zurückgemeldeter Erfahrungen bezeugt, sind an vielen Orten Ostdeutschlands (und auch im Westen) Szenarien der Bedrohung und Einschüchterung keine Seltenheit. Vielmehr sind sie eine begleitende Kontextbedingung entwicklungspolitischer Bildungsarbeit, solidarischer Projektarbeit und eines Engagements für einen gerechten Welthandel.

„Mitarbeiterinnen einer migrantischen Frauenorganisation fühlen sich im Büro oft nicht sicher. Draußen vor unserem großen Schaufenster bewegen sich junge Männer, die den Hitlergruß zeigen, auch ein T-Shirt mit der Aufschrift: „I love Hitler“ tragen und uns durch die Fenster anlächeln. Wir wurden auch schon angegriffen und verfolgt.“

„Nordkreuz … eine rechte Verbindung, die sich vor allem im Netz organisiert, hat sogenannte Feindeslisten erstellt von Menschen, die im E-Fall zuerst eliminiert werden sollen … unser kompletter Vorstand, aber auch Mitarbeiter*innen und Promotor*innen stehen auf dieser Liste … nicht alle halten das gut aus.“

„Im Nachgang des Kooperationsprojektes mit dem Erinnerungsort Topf & Söhne (dort wurden die Öfen für Ausschwitz produziert) wird das Auto der beteiligten Lehrerin mit „Judensau“ beschmiert. Gleiche Lehrerin berichtet darüber, dass im Unterricht Nazi-Parolen geäußert werden“.


Die Rückmeldungen problematisieren, dass es für migrantische oder schwarze Bildungsreferent*innen vielerorts schwierig bis unmöglich ist, ihre Arbeit zu machen bzw. ihren Bildungsauftrag zu erledigen:

„Das offensichtlich rassistische Umfeld in der Region W. verhindert nach wie vor, dass wir mit Menschen aus dem globalen Süden in Schulen gehen oder anderweitig zusammenarbeiten können. Wir finden trotz langer Bemühungen niemanden, der/die sich diesem Rassismus freiwillig aussetzen will.“

„Bei einem Projekt im ländlichen Raum empören sich Eltern und erzeugen Druck, als sie mitbekommen, dass bei dem Referent*innen-Team ein Geflüchteter dabei ist, der in der Projektarbeit eingebunden ist.“

„Ein regionaler entwicklungspolitischer Akteur…. macht regelmäßig die Erfahrung, dass in 80% der Fälle, in denen Filmausschnitte mit People of Color gezeigt werden, negative Kommentare erfolgen.“

Immer wieder müssen Bildungsreferent*innen mit dem Umstand umgehen, dass sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen stark vorurteilsbelastet und nicht wirklich offen an Themen des Globalen Lernens herangehen:

„Bei der Vorbesprechung mit der Schule ging es um das Thema „Klimabedingte Migration“. Da wurde gewünscht, dass wir bitte keine „Werbung für Flüchtlinge/ bzw. Flucht“ machen sollen oder ob wir das etwa machen würden?“

„Klassen verweigerten aktive Teilnahme bei Unterrichtsinhalten wie ‚Islam‘ im Ethikunterricht.“


Dies ist nur ein kleiner und nur ein düsterer Ausschnitt aus der viel breiteren, diverseren Realität entwicklungspolitischen Engagements in Ostdeutschland. Aber er macht deutlich: Wollen wir unsere Ziele in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit erreichen, also auf entwicklungspolitisch relevante Themen aufmerksam machen, Menschen zu kritischer Auseinandersetzung mit entwicklungspolitischen Anliegen ermuntern und zu nachhaltigem Engagement für eine global gerechte Welt ermutigen, so kommen wir nicht umhin, die Realitäten von Rassismus, Rechtspopulismus und autoritäre Einstellungen konzeptionell, zielgruppenanalytisch und methodisch zu berücksichtigen.

Entwicklungspolitische Inlandsarbeit muss auf solche Bedrohungen (re)agieren, weil die konstitutiven Werte von Gerechtigkeit, Menschenrechten und Weltoffenheit bzw. ein solidarisches Handeln entlang der Agenda 2030 offen und oft aggressiv in Frage gestellt werden. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, weil auch die skeptischen und ablehnenden Menschen Zielgruppen der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit sind. Auch ihnen sollte die Fähigkeit zur Empathie mit Menschen im Globalen Süden vermittelt oder nähergebracht werden. Eine Voraussetzung ist allerdings die Anerkennung demokratischer Grundwerte.

Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationsarbeit muss sich diesen herausfordernden Kontexten stellen, um letztlich differenzierte und diverse Perspektiven sichtbarer und anschlussfähiger für mehr Menschen zu machen. Sie setzt auf gemeinsame, globale Verantwortlichkeit und Zusammenarbeit und eben nicht auf nationale Egoismen und Ausgrenzung. Der Rückzug vor dieser Herausforderung ist keine Lösung!

Und schließlich lässt sich noch mit der Wirkungsforschung aus der politischen Bildung argumentieren: Wollen wir erfolgreich und wirksam sein, müssen wir den destruktiven Kontext von Rassismus et al. konzeptionell berücksichtigen, ansonsten scheitern wir mit unseren Zielen.

Es ist tief beeindruckend, wie die Kolleg*innen unter diesen Bedingungen struktureller und teils auch persönlicher Unsicherheiten arbeiten, dabei nicht den Mut verlieren und gleichzeitig kleine Lösungen und erfolgreiche Strategien für die entwicklungspolitische Arbeit finden. Was es aber braucht, ist noch mehr Solidarität und Unterstützung und zwar sowohl aus der bundesdeutschen Zivilgesellschaft als auch von staatlicher Seite. Wir würden uns daher wünschen, dass diese mutige und wirkungsorientierte Arbeit der Vereine von den Zuständigen im BMZ und auch im zuständigen Förderprogramm bei Engagement Global offener und wertschätzender gesehen wird als dies in letzter Zeit der Fall war.

Auch VENRO und die Arbeitsgemeinschaft der Landesnetzwerke (agl) beobachten eine starke Verunsicherung von Antragstellern und Vereinen. Sie bekommen die Rückmeldung, dass Antirassismusarbeit und Demokratieförderung im Rahmen entwicklungspolitischer Bildungs- und Informationsarbeit nicht förderfähig sei. Hierfür gäbe es Mittel bei BMI und BMFSFJ. Die Ressorthoheit bestreitet auch niemand. Nicht die Beantragung und Umsetzung von Antirassismus- oder Demokratieprojekten ist jedoch die Frage. Es geht vielmehr um die Berücksichtigung von Rassismus und autoritären Einstellungen als Rahmenbedingungen bei der Umsetzung von entwicklungspolitischen Inlandsprojekten bzw. Projekten des Globalen Lernens.

Wie die oben zitierten Stimmen nahelegen, muss vielleicht ein Argumentationstraining gegen autoritäre Einstellungen einplant werden, um am Ende einen Projekttag an einer Schule im ländlichen Raum z.B. in Sachsen erfolgreich zu Ende zu bringen. Die Befassung mit der Geschichte von Rassismus und Kolonialismus ist geboten, um sowohl bei den Lernenden als auch bei den Lehrenden tiefsitzende Denk- und Wahrnehmungsmuster von Europa und Afrika aufzubrechen. Denn sowohl in der solidarischen Projektarbeit als auch in der schulischen/außerschulischen Begegnung können koloniale und rassistische Sozialisation gemeinsame Ziele und wirkliche Begegnungen konterkarieren.

Vor wenigen Tagen erst schickte mir eine Kollegin ein Video von einer Stadtverordnetenversammlung in Leipzig. Ihr Verein hatte bei der Stadt Leipzig 2.000 Euro für eine Aktion des Fairen Handels beantragt. Ein Vertreter der Leipziger AfD-Fraktion ergreift das Wort und hetzt gegen den Verein und die dort engagierten Menschen. Die Geschichte hat ein positives Ende, weil alle demokratischen Parteien geschlossen für die Förderung des Vereins stimmen und weil ein Abgeordneter den Tiraden eine lupenreine entwicklungspolitische Argumentation entgegenhält. Es braucht mehr solche entschlossene und klare Entgegnungen aus dem parlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Raum.

Eine kluge, moderne und erfolgreiche entwicklungspolitische Informations- und Bildungsarbeit fragt nicht: Was hat denn das noch mit Entwicklungspolitik zu tun? Wo sind denn hier die globalen Bezüge? Eine kluge, moderne und erfolgreiche entwicklungspolitische Informations- und Bildungsarbeit fördert auch die Bearbeitung des Kontextes und stärkt Engagierten den Rücken, damit die gemeinsamen Ziele der Bildungsarbeit letztlich erreicht werden. Wir würden uns sehr freuen, wenn die neue Leitung des BMZ das Motto des Koalitionsvertrags beherzigte und auch in dieser Sache „mehr Fortschritt wagen“ würde.

Autor:

Andreas Rosen, Ko-Geschäftsführer der Stiftung Nord-Süd-Brücken, Berlin

Der Beitrag beruht auf einem Co-Referat des Autors zum Vortrag von Prof. Dr. Elmar Brähler (Leipziger Autoritarismusstudie) bei der Sitzung des Kuratoriums von Engagement Global gGmbH am 01.12.2021 und erschien im Newsletter Forum Eine Welt, SPD-Landesverband NRW, Ausgabe 05/2021 (Dezember)